Mittwoch, 4. Februar 2009

Im blauen Licht der Zukunft

In Äthiopien sind 5000 Computer an Kinder verteilt worden. Eine Reportage über die Hoffnungen, die ein Laptop in der Lehmhütte auslöst.

Quelle: zeit.de
Datum: 29.01.2009
Autor: Claus Spahn
Übersetzer: Alexandre Hill Maestrini
Textübersetzung in: Portugiesisch

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Zitat:
Am Tag, an dem der Computer nach Mullosayyoo kommt, stehen die Kinder am Straßenrand und winken mit großen Sträußen gelber Blumen. Frauen tragen riesige Bündel mit frisch geschnittenem Gras nach Hause, um damit die Böden ihrer Hütten auszulegen. Sie bereiteten das Masqalfest vor, einen der wichtigsten christlich-orthodoxen Feiertage in Äthiopien, der mit großen Feuern im ganzen Land begangen wird. Der Masqaltag markiert das Ende der Regenzeit, er ist auch ein ausgelassenes Frühlingsfest, an dem die Menschen das Ergrünen der Landschaft feiern und die Hoffnung auf eine gute Ernte. Mullosayyoo liegt eineinhalb Autostunden nördlich von Addis Abeba, die letzten 30 Kilometer führen über holprige Sandpisten. Die Siedlung hat keinen Dorfplatz, keine Lichtmasten, kein Geschäft, nur eine Schule. In den Lehmhütten leben Kleinbauern, die mit mageren Ochsen vor dem Pflug Teff anbauen, eine Hirsesorte, aus der das Sauerteigfladenbrot Injera gebacken wird, das wichtige Grundnahrungsmittel in Äthiopien. Auf einen Computer hat hier niemand gewartet.

»Ich habe das Gefühl, unsere Kinder sind heute zum zweiten Mal auf die Welt gekommen«, sagt Deriba, ein kleiner, sehniger Mann mit Falten wie Ackerfurchen im gegerbten Bauerngesicht. An diesem Morgen war er in seine ausgelatschten Gummistiefel gestiegen und hat etwas getan, was er sonst nie tut: Er begleitete seine Tochter, das fünfte Kind von acht, in die Schule. Er reihte sich in die Schlange vor dem Minibüro des Schuldirektors ein, nahm mit anderen Vätern und Müttern auf einer schmalen Holzbank Platz und beobachtete, wie junge Frauen in städtischer Kleidung mit angefeuchteten Fingern in roten Kladden blätterten. Sie glichen handgeschriebene Listen ab und setzten mit wichtigen Mienen Häkchen hinter Namen. Der stickige Raum war erfüllt von der Atmosphäre großer Bedeutsamkeit, als würde eine Präsidentenwahl abgehalten oder eine wichtige Landreform feierlich besiegelt. Nur im Flüsterton sprachen die Erwachsenen untereinander. Am Ende wurde jedem Bauern von Mullosayyoo ein flacher Plastikkasten in Froschgrün und Weiß in die Hand gedrückt.

»Kommen Sie«, sagt Deriba, »kommen Sie mit in mein Haus, dann können Sie sehen, wo das neue Ding seinen Platz haben wird. Meine Tochter ist schon vorausgelaufen.« Deribas Tochter Almas ist ein schmächtiges Mädchen von elf Jahren. Ihr Ringel-T-Shirt hat Löcher, und in ihrem rechten Ohrläppchen steckt ein kleines Hölzchen, von dem man nicht weiß, ob es der Schmuck selbst ist oder nur der Platzhalter für einen Ohrring, den sie gerne besäße. Sie führt uns in die Hütte ihres Vaters: ein fensterloser Raum mit einem Wellblechdach darüber. Das Mobiliar besteht aus einem Tisch, einer Bank und einer Holztruhe. In diesem Haus gibt es von nun an einen Computer, wie in 1000 weiteren Hütten rund um die Schule von Mullosayyoo [...]